
Wie werden sich zunehmende Standardisierung und Automatisierung auf das Webdesign auswirken, auf das Selbstverständnis unserer Arbeit und auf das Berufbild des Webdesigners der Zukunft? Der folgende Text versucht Antworten zu geben, erneut mit Bezügen zur älteren und jüngeren Vergangenheit.
Bis zur Jahrtausendwende war es für einen selbstständigen und tatsächlich weitgehend freien Webdesigner der ersten Generation noch machbar, den Auftrag für die Corporate Site größerer Unternehmen umzusetzen. Heute wäre sowohl eine entsprechende Anfrage als auch eine tatsächliche Umsetzung für einen Einzelkämpfer undenkbar. Der Grund liegt nicht allein in der Komplexität der Anforderungen an den Webdesigner, sondern an der fehlenden Notwendigkeit, als Konzern oder mittelständisches Unternehmen einen Einzelkämpfer beauftragen zu müssen.
Von der digitalen Boheme zur kontrollierten Produktion
Das Angebot an Agenturen ist heute riesig und innerhalb dieses Angebots herrscht wiederum ein extrem harter Wettbewerb. Wir müssen uns damit abfinden, dass sich zukünftig die Schere zwischen kleinen Webdesignern in ihren Home-Offices und der Konzentration des Marktes auf spezialisierten Agenturen weiter öffnet. Die Rede ist hier von hochwertigen Agenturleistungen im gesamten Spektrum des Webdesigns, die schon längst nichts mehr mit den klassischen »Full-Service«-Leistungen als reine Print- und Marketing-Kampagnen und zusätzlich eingekauften Webdesign-Leistungen zu tun haben.
Wie wird sich der Berufsstand der Webworker entwicklen? Erneut ein Blick zurück: Die Einführung der mechanischen Webstühle vollzog sich in Etappen, vorausgegangen waren Innovationen, die anfangs nur eine geringfügige Mehrleistung gegenüber den Heimarbeit-Produzenten hatten. Es dauerte auch gut 50 Jahre, bis der Berufsstand der Weber in England endgültig verschwand. Wir dürfen nicht vergessen, dass bereits der Siegeszug des PCs und die Entwicklung von DTP mehrere Berufe hat aussterben lassen. Es gibt genug gelernte Schriftsetzer und Druckvorlagenhersteller, die noch lange nicht das Rentenalter erreicht haben, aber schon seit 1998 vom Beruf der Mediengestalter abgelöst wurden.
Den Freelancern, GbRs und Einzelkämpfern werden auf Dauer nur die Aufträge von kleinen Agenturen bleiben, Kunden reduzieren sich maximal auf den KMU-Bereich, vor allem aber auf Einzelunternehmer und kleine Institutionen oder Vereine. Selbst der KMU-Bereich setzt zunehmend auf umfassende Agenturleistungen, auch hier erfordern Wettbewerb und Marktkonzentration innerhalb der Branchen die Notwendigkeit einer professionellen Positionierung in Marketing und Werbung. In einer Übergangsphase werden sicherlich Netzwerke spezialisierter Webworker existieren, auf Grund der Interessenkonflikte bezüglich der individuellen Kundenstrukturen werden sie den Agenturtrend aber nicht stoppen. Eine Ausnahme werden wohl noch länger die von Unternehmen und Agenturen buchbaren Spezialisten aus verschiedenen Sparten des Webdesigns bleiben, zeitlich und räumlich flexible und dafür angemessen bezahlte Tagelöhner sozusagen, die ihre langjährigen Erfahrungen und ihr Know-how in den Bereichen Frontend, Design, SEO oder UX auf dem freien Markt anbieten. Wichtiger als hard skills werden zukünftig Fähigkeiten sein, die nicht automatisiert oder ins Ausland verlagert werden können. Webworker mit einem breiten Wissen finden immer ein Betätigungsfeld, wenn sie über Kompetenzen wie Beratung mit einen Gespür für zielgerichtete Konzeption, Teamfähigkeit mit hoher sozialer Kompetenz und eventuell noch Spezialwissen in technischen Einzeldisziplinen verfügen.
Webstandards und standardisierte Arbeitsprozesse
Kommen wir zurück zu den anfänglichen Fragen des Tagesgeschäfts, die alle Webworker beschäftigen und die sich grundlegend von den Fragestellungen der vergangenen Dekade unterscheiden. Vor 10 Jahren interessierte uns, wie die Browser geltende Webstandards unterstützten, beziehungsweise wo und wie wir durch Frontend-Voodoo die Browser dazu bringen konnten, ihnen diese Standards beizubringen. Mit dem Siegeszug von Smartphones und Tablets haben wir ähnliche Probleme auch heute, dennoch verlagern sich die Fragen auf Themen der praktischen Umsetzung in Verbindung mit Automatisierung und Standardisierung, also auf die Frage, wie wir das, was wir tun, qualitativ und wirtschaftlich weiter optimieren können. Dahinter steht ein eindeutiger Bedarf, den der Markt nicht freundlicherweise anbietet, sondern zwingend vorschreibt. Es ist möglich, Websites wie vor 20 Jahren komplett per Hand zu schreiben, und es ist auch sinnvoll zu wissen, was da am Ende als HTML-Code ausgegeben wird. Das würde sich jedoch in dem Moment ändern, sobald beispielsweise ein komplexes CMS samt Einbindung verschiedener Frameworks und der Bearbeitung via Präprozessoren oder sogar per WYSIWYG-Editor endlich garantieren könnte, stets einen sauberen, auf allen Ausgabegeräten funktionierenden Code auszugeben. Wir dürfen nicht vergessen, dass dieses Ziel schon immer im Vordergrund aller lösungsorientierten Entwicklungen von Browser- und Web-Editoren oder Redaktionssystemen stand. Mittlerweile ist dieses Ziel in greifbare Nähe gerückt. Der Lösungsansatz von The Grid zeigt bereits den Weg in die Zukunft und wird in den kommenden Jahren weitere Derivate oder ähnliche Konzepte nach sich ziehen. Selbst die früher belächelten Baukastenlösungen wie Jimdo haben sich längst emanzipiert, entwickeln sich rasant weiter und sind schon heute ernsthafte und anspruchsvolle Alternativen zu handgeklöppelten Microsites für Vereine, Einzelunternehmer und Freiberufler.
Es wird deshalb eine immer weiter fortschreitende, modulare Standardisierung der Techniken und Abläufe geben. Sämtliche Innovationen und Experimente werden sich aber zukünftig innerhalb dieser Standards abspielen müssen, um konsens- und marktfähig zu bleiben. Wir kennen das Beschriebene längst von der Automobilproduktion: trotz aller Innovationen kommt am Ende eine Baureihe auf den Markt, bei der sich die einzelnen Fahrzeuge bis in kleinste, prozessoptimierte und standardisierte Details wie ein Ei dem anderen gleichen. Es ist deshalb kein Zufall, dass Designtrends zu Webseiten führen, die sich sehr ähnlich sehen, obwohl sie mit unterschiedlichsten Tools erstellt wurden. Bei dem Siegeszug von CSS-Layouts waren es oft genug die Beschränkungen alter oder nicht gepflegter Browser wie dem IE6, die zu gemeinsamen Nennern bei den Layouts führten. Heute sind es nicht die Beschränkungen, Trends setzen standardisierte und damit konfektionierte Konzepte von Frameworks wie Bootstrap, Template-Editoren von Redaktionssystemen oder Fertiglösungen mit professionellen Vorlagen wie WordPress, das ist ein gravierender Unterschied. Analog zu Google als Synonym für alle möglichen Suchmaschinen werden Lösungen wie Bootstrap, Wordpress oder Angular.js zur Zeit wie aktuelle de-facto-Standards behandelt, mit diesen Lösungen werden auch Kunden unabhängiger von der Anbieterstruktur und erhalten die weiter oben beschriebene Hoheit über die Projektweitergabe an eine günstigere Agentur, die sogar mehr Profit machen kann als der Freiberufler, wenn sie die Umsetzung zum Beispiel an einen Partner oder die Niederlassung in Bangladesch, Vietnam oder China vermittelt.
Angesichts der zunehmenden Komplexität der Web-Branche wäre es allerdings fehl am Platze, über diese Entwicklung zu jammern. Jeder unnötig gewordene Arbeitsschritt ermöglicht die Konzentration auf die beschriebenen Soft-skills. Wir möchten heute auch keine Texte mehr per Hand schreiben, die in einem Schreibbüro abgetippt und im Copy-Shop vervielfältigt werden müssen. Automatisierung und Standardisierung bedeutet auch, sich von lästigen Zwängen dumpfer Arbeiten zu befreien, unabhängig davon, dass man auch weiterhin alles im Texteditor schreiben kann, sofern man Spaß daran hat. Es wird wohl kaum einen Webworker geben, der die automatischen Sicherheit-Updates von Wordpress als Eingriff in seine individuelle Arbeitsweise verteufeln würde.
Wer mit wem?
Die letzte Frage bleibt, wer denn innerhalb des Marktes diese Standards vorgeben wird. Neben den Browserherstellern werden das wahrscheinlich vor allem Big Player wie Microsoft, Apple und vor allem Google sein, die ihre Marktmacht durch die Akkumulation von Kapital ausbauen können. Die Konzentration wird auch in anderen Bereichen der Webentwicklung weitergehen. Der Markt benötigt langfristig keine 100 Redaktionssysteme, nicht einmal 50, vermutlich nicht einmal 20. Der Markt benötigt auch kein Dutzend Javascript- oder CSS-Frameworks. Was oder wie viel davon am Ende übrig bleiben wird, kann keiner vorhersagen. Entscheidend ist nur die Feststellung, dass mit dieser Konzentration innerhalb standardisierter Prozessabläufe auch die Rolle des Allround-Webworkers als individueller und in seinen Arbeitsweisen und Entscheidungen noch weitgehend freier Marktteilnehmer ebenso ein Ende finden wird wie der Wunschtraum von einer digitalen Boheme.
Nils Pooker